Erinnerung an Professor Paul Schneider
(Saarbrücken 1927 – Merzig 2021)
Was ist zu sagen zum Tod eines Menschen, der Kunst lebte, eine künstlerische Ehe mit dem Stein
einging? In ihm fand Paul Schneider sein adäquates Gegenüber. Schon Anfang der 70er Jahre. Nach Jahren der Suche um die Figur, beginnend mit organisch anmutenden Skulpturen aus Holz oder Stein, den – gemäß den Strömungen der Kunst seiner Zeit – konstruktiven Metall-Skulpturen, Verthori (in denen die Vertikale und Horizontale herrscht). Und immer sind auch Zeichnungen (in denen er Landschaften, die Struktur von Steinen erfasste) und zarte Aquarelle entstanden. In seiner 'künstlerischen Bibel' hielt er in Miniatur-Zeichnungen jede einzelne Skulptur fest.
Was wird bleiben? Seine Kunst am Bau, im öffentlichen Raum, Skulpturen in Städten, auf Plätzen, in der Landschaft, geschätzt in privaten Gefilden, in Häusern und Gärten, nicht nur in Deutschland. Im Saar-Lor-Lux-Raum wird man zuerst an Steine an der Grenze, die Steine in Bietzen denken.
Biographische Daten (Studium, Symposien, Reisen und Studienaufenthalte, Begegnungen) sind in
umfangreichen Werkverzeichnissen (zumeist herausgegeben vom Institut für aktuelle Kunst im
Saarland in Saarlouis) nachzulesen, seine Auszeichnungen (1984 Kunstpreis der Stadt Saarbrücken, 1991 Ehrengast der Villa Massimo in Rom, 2000 Albert-Weisgerber-Preis der Stadt St. Ingbert, 1997/98 und 2000/01 mit Werner Bauer und Bernhard Focht Sparda-Bank-Preis für besondere Leistungen der Kunst im öffentlichen Raum, 2001 Verleihung des Ehrentitels Professor, das Bundesverdienstkreuz am Bande hatte er erhalten). Der Kunstpreis des Saarlandes blieb ihm verwehrt. Prophet im eigenen Land? In seiner Zeit?
In Saarbrücken geboren, studiert er nach seiner Ausbildung zum Maurer und Maler an der Staatlichen Werkakademie Kassel (u. a. bei Arnold Bode) und an der Kunsthochschule Staedel in Frankfurt. Prägend – der Krieg. Noch im Alter echauffierte er sich über Fahnen, die die Menschen an den Häusern anbringen, zu sehr erinnerte es ihn an die Fahnen unter der NS-Herrschaft.
Seit 1953 lebt er als freischaffender Bildhauer in Saarbrücken. Ende der 70er Jahre wird (Merzig-)Bietzen seine Wahlheimat. Es ist eine sanfte Landschaft, die seinen Steinen gut tut, sie in ihrer Stille aufnimmt.
Sein altes Bauernhaus war von einer einzigartigen Atmosphäre erfüllt, nicht zuletzt von seltenen Objekten, Mitbringsel von Reisen, die ihn bis nach Indien führten. Im Nebenhaus hat er in den letzten Jahren sein eigenes Museum eingerichtet.
Sein Garten mit Steinen – unvergleichlich. Da standen und stehen sie, die Pfeiler seines Lebens, in Stein gehauene Spuren seiner Gedanken. Im Hintergrund – in Gesellschaft von Obstbäumen, Buchsbaum und Hortensien ein alter Holz-Schuppen, der in jedem Moment zusammenzufallen drohte. Schätze, frühe Arbeiten aus Holz und Metall waren darin aufbewahrt. Die Familie hat den Schuppen nun abgerissen. Verschwunden ist er, wie die irdische Existenz des Bildhauers.
Besuchte man ihn, traf man ihn zumeist bei der Arbeit an einem Stein an. Bis ins hohe Alter arbeitete er an gewaltigen Steinen. Mit 85 Jahren noch an einem monumentalen Stein („Kosmische Schlange“) in seinem pfälzischen Steinbruch in Krickenbach (Picard).
Eigenhändig, von der Idee bis zur Gestaltung mit Hammer und Meißel und seinen Schleif-Geräten. Bisweilen rief er den Gast schier atemlos herbei, um ihm an einer Skulptur zu zeigen, wie das Licht sich in der Öffnung des Steines seinen Weg bahnt, wissend, dass dieses Bild im nächsten Moment verschwunden sein würde, vergänglich, wie das Leben. Das war eine seiner Botschaften.
Niemand wird je die Wucht vergessen, mit der er über seine Kunst, den Stein als Wesenheit sprach. Er hat die Menschen begeistert, sie glücklich gemacht, die, denen das 'Künstlerisch-Geistige' seiner Steine zugänglich war. Gern hat er uns teilhaben lassen auf seinen Wegen, dem Weg eines Steins vom Steinbruch (in dem er sich zuhause fühlte) zur vollendeten Skulptur. Das Aufstellen eines nicht selten gewichtigen Steins, mit Kran, wurde zum Fest.
Mitreißend konnte er sein. Ganz leicht scharte er interessierte Besucher um sich und seine Steine, wenn er vehement seine künstlerische Botschaft verkündete oder still, geheimnisvoll, nahezu zaghaft, wenn er sanft mit seiner Hand über seine Steine, ihre 'Haut' (wie er es nannte) strich.
Paul Schneider war ein reflektierter Mensch. Da war sein Ereifern über ein Thema, das ihn packte. Bisweilen konnte er aufbrausend sein. Es waren nicht nur seine Steine, für die er „brannte“, das war auch die Gefährdung der Natur, der respektlose Umgang mit Tieren. Es war ihm nicht egal, was aus der Welt werden würde. Umweltschutz, die Rechte von Menschen und Tieren lagen ihm am Herzen. Die Rechte der Frauen – bisweilen flackerte sein ganz persönlicher Feminismus auf.
In seinen letzten Jahren, nach dem Tod seiner Frau Li war sein Mops (offizieller Name: Tandoori, genannt Möpschen) sein treuer Gefährte. Ein unzertrennliches Paar, so sah man die beiden. Der Mops war wohl der einzige Hund, dem es vergönnt war, den Markusdom in Venedig von innen zu betrachten...
Li – ihre Bedeutung für sein Leben, seine Kunst ist nicht hoch genug zu bewerten! Sie war da. Für ihn.
Von ihrer Verbindung sagte er einmal: "Es war einfach Liebe." Es braucht nicht mehr Worte.
Belesen war er, seine Bibliothek war bestückt mit Kostbarkeiten, Buchwerke über alte Kulturen, Menschheits-Symbole, ferne Länder, Literatur. Eine Zeit lang las er mit großer Leidenschaft Marcel Proust und sprach mit kindlichem Vergnügen von Madeleines, einem lothringischen Gebäck, dem Proust sich in seiner "Suche nach der verlorenen Zeit" widmet.
Reisen waren ihm ein Lebenselixier, sie gehörten zu seinem bildhauerischen Leben. In späten Jahren schien er Reisen über seine Bildbände zu unternehmen...
Die Liste der Bildhauer-Symposien, an denen Paul Schneider in verschiedenen Ländern teilnahm, ist beachtlich, sie führt bis nach Indien. In Gesprächen erinnerte er sich leidenschaftlich an das intensive Zusammenleben der Künstler und ihrer Frauen (die alle mit Essen versorgten), es war eine verschworene Gemeinschaft über eine geraume Zeit.
Beginnend in St. Margarethen, wo er als Gast von Karl Prantl (dem Vater des Bildhauersymposions) im Steinbruch arbeitete, später in Wien. Hierzulande: Ende der 70er Jahre war er beteiligt an der Gestaltung der Fußgängerzone am St. Johanner Markt in Saarbrücken. Präsent in der von Leo Kornbrust († 20.07.2021) begründeten Straße der Skulpturen, schuf er sein Bildhauer-Symposion "Steine an der Grenze" am Dreiländereck; seine Skulptur in Gehweiler markiert die Verbindung beider Symposien im großen Ganzen der von Leo Kornbrust initiierten "Europäischen Straße des Friedens" (von Moskau nach Paris, nach einem Gedanken, zu Ehren von Otto Freundlich, der durch Verrat in Frankreich in einem Konzentrationslager ermordet wurde). 1998 lud er zum Symposion „Steine und Pflanzen am Wasser“ an der Bietzener Heilquelle ein. 2010
waren befreundete BildhauerInnen in seinem Haus und Garten zu Gast, sie lebten und arbeiteten gemeinsam. Er ließ die alte Form des Symposions aufleben.
Wesentliche Zeichen setzte er in seiner Wahlheimat. Auf dem "Sonnenstein-Wanderweg" auf den Höhen hinter Bietzen, unweit seines Hauses, hat er seine künstlerischen Zeichen hinterlassen, steinerne Spuren seines Schaffens, seines Lebens. In ihrer stillen Macht stehen sie da, eingebunden in die Landschaft. Seine Sonnensteine. Vor dem Schloss Fellenberg, einen Steinwurf von dem Ort seines Sterbens - seine Steine im Paul-Schneider-Skulpturenpark.
Er gestaltete Steine auch zu Ehren geschätzter Menschen, den Gustav-Regler-Gedenkstein in Merzig, einen Stein für Johannes Kühn, den Dichter.
Großzügig verschenkte er Steine an Auserwählte, stiftete sie. Sein Stufenstein mit weißer Linie ruht vor dem Institut für aktuelle Kunst im Saarland. Er stellte Steine in der Landschaft auf, gab sie gleichsam der Natur zurück.
Der Stein - seine Arbeit daran ist seine Verbeugung vor verdichteter Zeit, in denen Steine gewachsen sind. "Ein ganzer Kosmos ist in einem Stein enthalten." Er spürt ihre Geheimnisse auf, macht sie in behutsamer Gestaltung sichtbar, folgt Linien oder Narben im Stein. Achtsam.
Seine vielleicht wichtigste künstlerische Botschaft: "Kunst besteht aus Tun und Lassen. Das Lassen ist oft wichtiger als das Tun." Die Arbeit am Stein war für ihn "ein Leidensprozess, so viele Wege, die falsch sein können." Sein Weg zum Stein, zu einer Skulptur: Er wählt den Stein, nicht selten an seinem Ursprung, im Steinbruch, er sucht sein Wesen zu erkennen, schwingt sich in seine Energie ein, tritt in einen Dialog mit ihm und schreibt seine Gedanken und Symbole in ihn hinein. Voller Demut.
Zeichen und Formen wie Quadrate, in symbolischen Zahlen, Netze begegnen uns, Stufen. Und immer wieder die Öffnung des Steins zum Licht, in seinen Sonnensteinen. Paul Schneider nimmt dem Stein seine Schwere. Die Oberfläche verwandelt er nicht selten in eine zarte Haut, in die er seine Zeichen hineinritzt. Die Öffnungen, die Lichtmäuler, Löcher, Mulden, tariert er mit Blick auf Sonnen- oder auch Mondlicht aus, so dass Licht durch sie fallen und wandern kann. Jeder Augenblick dabei ist schwindend, vergänglich wie das Leben. Dauer und Vergänglichkeit verbünden sich.
In seinem Stein in Saarwellingen im Lachwald meißelt er ein Gedicht von Erich Fried hinein, dem er persönlich begegnet war: "Die Zeit der Steine. [...] Wer die Steine reden hört, weiß, es werden nur Steine bleiben. Wer die Menschen reden hört, weiß, es werden nur Steine bleiben."...
Der Tod – ein vertrauter Begleiter seines Lebens. Im Krieg, der Tod der Eltern, der seiner Frau, zuletzt der seines Sohnes Christoph, der in den Bergen plötzlich verstarb, ein großer Einschnitt im späten Leben des Bildhauers. Am Ende der Tod seines geliebten Hundes.
Nicht zufällig hat er Grabsteine gestaltet, für das Grab seiner Eltern, für Freunde, das seiner Frau, das nun ihn selbst beherbergt; in den Grabstein hat er die Namen der Orte eingemeißelt, die sie in ihrem gemeinsamen Leben besucht hatten, auf der Erde ein Gedenkstein für seinen Sohn.
Es erstaunt nicht, dass die Spirale Thema seines Spätwerks ist. Sie finden wir auch in einem Stein, den er "Schicksalsstein" nennt (siehe Zeichnung). Paul Schneider arbeitete daran in der Zeit, in der sein Sohn verstarb. Ein Zeichen des Bandes zwischen Vater und Sohn...
Am Ende seines Daseins schien Paul Schneider seine Vergangenheit, alte Freunde hinter sich lassen zu wollen. Dann lebte er in einer Welt des Vergessens.
Einmal sagte er: Über den Stein bin ich Philosoph geworden. Eine seiner philosophischen Betrachtungen mag für seine Kunst und sein (wie für unser aller) Leben gelten: "Die Vollkommenheit liegt in der Unvollkommenheit."
Paul Schneider verstarb am 15. April. Mit ihm verlieren wir eine Künstlerpersönlichkeit einer vergangenen Zeit. Die Welt der Kunst wird – nicht nur im Saarland - ärmer sein ohne ihn. Doch er selbst schenkte uns mit einem Gedanken zum Tod Trost: "Es gibt ein Fortleben. Wir müssen sehnsüchtig sein, süchtig, etwas Neues zu sehen, sehnsüchtig auf den Tod. Im Vertrauen, aufgenommen zu werden im göttlichen Raum. Ich habe keine Angst vor dem Jenseits, weil ich Spuren hinterlassen habe."
Monika Bugs